Sehr geehrtes Gericht, sehr geehrte Mitmenschen,
ich möchte Sie wissen lassen, mein Protest verstummt nicht, nein, ich trete in den Hungerstreik. Es
ist die Konsequenz aus dem, was ich seit anderthalb Jahren erfahre, als ich im Knast lebendig
begraben wurde.
Ich möchte erzählen von heute Nacht, in der meine Augen plötzlich flimmerten und mich ein helles
Licht aus dem Schlaf riss. Doch davor hatte ich einen Traum, in dem ich dachte, ich wisse nicht
mehr, wo ich sei. Das „Ich“ irrte durch die Gänge eines Gebäudes, es vermochte nicht stehen zu
bleiben, floh, aber fand keine Tür, die sich öffnen ließ. Also stieg das „Ich“ Treppen herauf und
herunter, es erschöpfte, der Verstand versuchte zu analysieren. Doch das „Ich“ drehte sich im Kreis,
schlug gegen Wände. In dem Traum war ich allein, ich hörte bloß dumpfe Stimmen voller Wut und
Trauer, die mich berührten, als seien sie Sonnenstrahlen. Dann riss mich ein helles Licht aus dem
Schlaf, nur 2 Sekunden lang, und die Deckenlampe erlosch wieder, die Schritte des Beamten
verhallten, ich lag wach und hatte Angst davor, wieder in den Traum zurückzukehren. Dabei
spiegelt er doch bloß das wieder, was ich seit 18 Monaten erlebe.
Vor vier Monaten stand ich schon einmal hier und sprach aus, was ich im ungarischen Gefängnis
erlebe: die weiße Folter der Isolationshaft, das Entzug menschlicher Nähe, das Fehlen von Sonne
und Licht, die mangelnde Gesundheitsfürsorge, die Ignoranz gegenüber meinem Wunsch zu lernen
und zu studieren, die tägliche Erniedrigung, mich nackt auszuziehen und durchsuchen zu lassen, die
psychische Gewalt, das Herausreißen aus menschlichen Beziehungen und das Verbot, um den
Verlust eines geliebten Menschen zu trauern. Ich fragte nach meinem verfassungsmäßigen Recht
auf Gleichberechtigung, nämlich die vollständige Übersetzung meiner Akten. Ich fragte, was diese
Art, mich in Ketten zu legen und hier vorzuführen, bezwecken soll?! Nicht erst seit heute Nacht
weiß ich: Das ertrage ich nicht mehr.
Ich weiß, damit bin ich nicht alleine. Wir alle wachen in einer Welt auf, in der sich Möchtegern-
Demokrat*innen und Autokrat*innen über Menschenrechte hinweg setzen, mit Menschenleben
spielen, um ihren Hass zu schüren, und sich das Recht anmaßen, die Würde eines jeden Menschen
erneut infrage zu stellen. Dabei gab es mal die Idee eines friedvollen Lebens für alle. Der Weg
dorthin scheint heute jedoch fern.
Seit Wochen wache ich auf und stelle fest: Ich bin in einem Land gefangen, dessen Verfassung von
nun an keine queeren Menschen mehr kennt. Ich habe in diesem Land keine Verfassung, denn die
Verfassung kennt mich nicht. So sitze ich voller Schrecken wach und muss mir anhören, dass
niemand für die rechtswidrige Auslieferung von vor einem Jahr Konsequenzen erfährt, dass sich
niemand darum bemüht, dem Urteil des Deutschen Bundesverfassungsgerichts gerecht zu werden
und meine Rücküberstellung zu ermöglichen.
Auch wenn ich im Gefängnis alleine bin, weiß ich mich an eurer Seite. Wir alle sehen die Welt, in
der Kriegsverbrecher Militärparaden erhalten, in der Gier, Macht und Reichtum eine Tugend sind,
in der Geiseln und Zivilisten sterben, weil ihnen beiden ihre Menschlichkeit aberkannt wird. Die
Verantwortung dafür ist universell. Auch wenn ich nicht überall handeln kann, mein Tun begrenzt
ist und ich mir nicht anmaßen kann, für einen weit entfernten Menschen Entscheidungen zu treffen:
So kann ich aber doch seine Würde achten und ich kann dort handeln, wo ich bin. Ich kann fragen:
Ist das, was mich umgibt, mit Gewissen und Moral vereinbar? Die Antwort wird kein Schweigen
erlauben.