Liebe Mitmenschen, Gefährt*innen und Unterstützer*innen,
mein Name ist Maja. Seit dem 5. Juni befinde ich mich im Hungerstreik. Ihn begann ich als Protest gegen die rechtswidrige und doch nicht wiedergutgemachte Auslieferung von Deutschland nach Ungarn vor einem Jahr, die repressive Verfolgung von Antifaschist*innen, die vorverurteilende und fragwürdige Prozessführung, genauso gegen die bis heute andauernde Isolationshaft und die menschenverachtenden Haftbedingungen in ungarischen Knästen. Nun habe ich mich dazu entschlossen den Hungerstreik nach fast sechs Wochen zu pausieren.
Ich möchte meine Gesundheit nicht weiter strapazieren, denn ich spüre, wenn ich jetzt nicht umkehre, ist es bald zu spät dafür. Dann würde es auch wenig nützen, würden meine Forderungen erfüllt werden. Ich wäre fürs Leben gezeichnet, bin es womöglich schon jetzt. Ich wollte es nie soweit kommen lassen, hoffte naiv darauf, dass ein so radikaler Schritt wie der Hungerstreik endlich Bewusstsein bei den Verantwortungsträger*innen und allen, die etwas ändern können, schafft, dass sie handeln, nach einem Jahr Beschwichtigungen, Lächeln und Ignoranz.
Nun ist von mir nicht mehr viel übrig. Mein Körper – ein Skelett, mit einem ungebrochenen, kämpferischen und lebenden Geist. Er lächelt, sucht im Horizont Freiheit und Gemeinschaft, findet sich nicht damit ab, gibt es keine Gerechtigkeit. Doch den Schritt in den nahen Tod zu gehen, bin ich nicht bereit. Klar, man ist ungewiss, vielleicht bleiben noch Tage, vielleicht Wochen. Doch würde ich mein Bewusstsein verlieren, nehme ich eine Schuld gegenüber den Menschen, die an meiner Seite kämpfen, auf, welche ich nicht bereit bin, jemandem aufzubürden. Genauso, wie mich Zwangsmaßnahmen auszusetzen.
Am 01.07. wurde ich ein Gefängniskrankenhaus, 250 km von Budapest entfernt, verlegt, da sich schon zu diesem Zeitpunkt ernsthaft um die Stabilität meiner Gesundheit gesorgt wurde. Der neue Ort ist stiller als der Knast in der Großstadt, jedoch genauso isoliert, eher noch stärker. Kontakt zur Familie ebenso stark beschränkt. Mein Anwalt, stets eine unverzichtbare Stütze, benötigt nun einen ganzen Tag für einen Besuch. Beim einstündigen Hofgang treffe ich keine Mitgefangenen. Die restlichen 23 Stunden verbringe ich in der Zelle, denn Freizeitangebote gibt es hier keine. Die Einsamkeit zerreißt, das Heimweh verfängt sich im Horizont. Medizinisch ist es möglich, den Körper hier aufzupäppeln, eine mentale Genesung scheint mir doch auch hier unmöglich. Mit einer abzusehenden Rückverlegung nach Budapest, hätte sich nichts verändert, erwartet mich doch dort das, was den Hungerstreik eine Notwendigkeit werden ließ. Weder Krankenhaus noch Knast in Ungarn können eine Lösung sein.
Meine Forderungen bleiben unverändert! Es bedarf einer Rücküberstellung nach Deutschland oder Hausarrest und eines rechtsstaatlichen Gerichtsverfahrens. Ich bin entschlossen, auch im Morgen nicht zu schweigen und zu protestieren, so lange es Notwendigkeiten dazu gibt.
Dass ich nun den Streik abbreche, tue ich, damit niemand langfristige oder dauerhafte Gesundheitsschäden verantworten muss. Dieser Schritt entbindet jedoch niemanden von der Verantwortung, humanitäre, schmerz- und qualfreie Haftbedingungen für alle zu schaffen, unabhängige, rechtsstaatliche Verfahren, die nicht vorverurteilen, zu führen und die Unversehrtheit des gefangenen Menschen zu gewährleisten, seine Würde zu achten, statt ihn zu verachten und zu bestrafen. Passiert das nicht, werden meine Forderungen weiter ignoriert, bin ich entschlossen den Hungerstreik erneut aufzunehmen.
Ich fordere das Notwendige – dass ich bei meiner Familie zu Hause sein kann, dass ich mich durch Schule, Arbeit usw selbst verwirklichen kann, dass ich mich gleichberechtigt auf den Prozess vorbereiten kann und nicht weiter lebendig in einer Zelle begraben werde. Ich warte nach wie vor auf ein klares und ehrliches Wort, auf eine Entschuldigung derer, welche die Auslieferung zu verantworten haben, sowie ein Angebot der Wiedergutmachung. Auch wenn es zuletzt kommt, ist es mir doch das wichtigste.
Der Dank an all jene, die Wort ergriffen haben, die sich an unsere Seite stellen, und jene, die dort schon lange mutig stehen, jene, die unbeirrt für notwendigen Antifaschismus eintreten, jene die supporten, Nächte und Tage opfern, die spenden und Ankerpunkte sind. Diese Vielfältigkeit heißt Widerstand und Utopie zugleich. Meine Gedanken sind stets bei Familie und nächsten Gefährt*innen, ahnend welchen Schmerz sie durchleben, und bewundernd, wie tapfer und selbstlos sie aushalten. Mein Dank hat heute Worte. Doch seid euch gewiss, der Samen der Solidarität mit dem, was möglich ist, liegt in fruchtbarer Erde. So hoffe ich, nicht nur ich, sondern viele konnten in den letzten Wochen Mut und Willenskraft vereinen, um Hand in Hand, nie verzeihend, aber lächelnd nach vorne zu blicken.
In solidarischen Gedanken. A Presto, mi farò vivo.
Maja