Wir spiegeln an dieser Stelle die Prozessberichte des 28. Prozesstags am 06.08. und 29. Prozesstags am 07.08.2025 gegen Hanna vor dem OLG München.
28. Prozesstag am 06.08.2025
Sachverständige, Gutachten und ein möglicher weiterer Prozesstag
Heute ist der Saal mal wieder bisschen voller, es sind 20-30 solidarische Prozessbegleiter*innen anwesend.
Zu Beginn geht es um den Antrag der Verteidigung vom 27. Prozesstag, bezüglich Gründungszeitpunkt der unterstellten kriminellen Vereinigung und der Frage, ob alle Personen, die in den Videos zu sehen sind, als Mitglieder gewertet werden.
Der Senat erläutert sie gehen aktuell davon aus, dass es sich nicht um eine Fortsetzung der ca. 2018 in Leipzig um gegründeten kriminellen Vereinigung (Antifa Ost) handelt, sondern in Budapest eine neue Vereinigung gegründet wurde.
Darauf folgt ein „rechtlicher Hinweis“ nach §265 StPO, dass nun auch eine Verurteilung nach §129b „Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland“ in Betracht gezogen wird. Dazu kommt auch die mögliche Verurteilung für 6 weitere Fälle der (gefährlichen) Körperverletzung, da 6 Passant*innen Pfefferspray abbekommen haben könnten.
Außerdem ist ein Aktenordner neu aufgetaucht, die Übersetzung wird bis Ende der Woche dauern, deswegen klärt sich erst beim 30. Prozesstag am 04. September was drin steht und ob ein weiterer Prozesstag für die Inhalte benötigt wird.
Nachdem das alles geklärt wurde, kam die Sachverständige Marsovszky, sie ist freie Kulturwissenschaftlerin an der Uni Köln. Sie erläutert viel über die ungarische Rechte und ihre Zusammenarbeit mit der ungarischen Regierung: welche Gewalt- und Straftäter am Tag der Ehre Teilnehmen, dass sie Kriegslieder singen und auf das nationale Erwachen schwören, dass Reden von Hitler verlesen werden, dass nicht eingeschritten wird wenn Banner von verbotenen Gruppen gezeigt werden und wie rechtsextreme Gruppen staatlich finanziert werden.
Auf die Frage, ob sie auch zum Gegenprotest geforscht hat, distanziert sie sich von ungarischen Antifas, sie will „nicht unbedingt was mit ihnen zu tun haben“: Sie hätten nicht die richtigen Lehren aus dem Realsozialismus gezogen und seien zu antikapitalistisch und zu antizionistisch.
Leider war Marsovszky seit 2013 nicht mehr bei den zentralen Veranstaltungen des Tags der Ehre anwesend, weil sie wegen ihrer wissenschaftlichen Arbeit viele Drohungen von Neonazis erhält und man sich seit 2012 bei den Veranstalten ausweisen muss, um sich dort aufhalten zu können. Das gefällt dem Senat gar nicht, sie sind vor allem an den konkreten Geschehnissen am Tag der Ehre 2022 und 2023 interessiert und weniger an den ideologischen Hintergründen. Auch die Tatsache, dass Marsovszky kritische Theorie als Methode verwendet stößt nicht auf Begeisterung.
Bei der anschließenden Befragung zieht Richter Reichenberger das antifaschistische Infoblatt Nr. 142 als Quelle heran.
Nach der Mittagspause stellt der Sachverständige Prof. Dr. Eisenmenger (Universitätsprofessor im Ruhestand) sein Gutachten vor: sein Auftrag war zu beurteilen, ob die sichergestellten Gegenstände geeignet sind um die dokumentierten Verletzungen hervorzurufen, und eine Einschätzung über die Gefahren und mögliche bleibende Schäden der Verletzten.
Er zählt alle dokumentierten Verletzungen der Geschädigten und wie diese jeweils zustande gekommen sein könnten auf und kommt zu dem Schluss, dass bei den meisten ein Schlagstock als Ursache möglich ist.
Für die Beurteilung der Gefahren zieht er einen Versuch heran, den er mal für einen anderen Prozess durchgeführt hat. Dabei wurde mit vergleichbaren Schlagstöcken auf einen mit Schweinehaut überzogenen Metallschädel gehauen um die Toleranzgrenzen zu ermitteln. Die technischen Details und die Berechnungen erspare ich euch hier. Es werden alle Szenarien aufgezählt, durch was man bei einem Schlagstock oder Pfefferspray Einsatz bleibende Schäden erlangen oder sterben könnte, das Fazit ist aber immer, dass sich diese Gefahren nicht verwirklicht haben.
Gegen ende sagt der Sachverständige „Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass sich diese potenzielle Lebensgefahr tatsächlich real verwirklicht“, „wenn ich meine gesamte Erfahrung in der Rechtsmedizin einfließen lasse, dann habe ich etwa 20.000 Sektionen durchgeführt. Und ich erinnere mich an keinen Todesfall durch Einwirkung eines Schlagstockes. Durch Tritte gegen die Rippen allein kann ich mich im Moment auch nicht erinnern, dass das als isolierte Ursache eines Todesfalles, zu einem Todesfall geführt hätte“.
Zu guter Letzt stellt auch Dr. Limmer ihr Gutachten vor, die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit Schwerpunkt forensische Psychiatrie beurteilt, ob eine Anwendung von §20 (Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen) oder §21 (Verminderte Schuldfähigkeit) in Frage kommt. Da Hanna eine Exploration angelehnt hatte, kann sich Dr. Limmer nur auf die Akten und Hannas Verhalten während des Prozesses beziehen. Hannas Lebenslauf wird nochmal skizziert, mit dem Fazit, dass Hanna die Stufen der psychosozialen Entwicklung erfolgreich gemeistert hat (herzlichen Glückwunsch!).
Richter Stoll fragt nochmal nach, ob die mögliche Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, die möglichen dahinter steckenden Überzeugungen, sowie die bewusste Inkaufnahme des Risikos bestraft zu werden, nicht als psychische Auffälligkeit zählt, aber nein, tut es nicht.
Am Ende wird noch ein möglicher weiterer Prozesstermin vereinbart, falls Urkunden aus dem neu aufgetauchten Aktenordner besprochen werden müssen. Selbstlos stellt sich Richter Stoll die Frage „wie lange brauche ich und wann werde ich hungrig?“ und der Termin wird auf den 26.09. um 13 Uhr festgesetzt. Wie oben erklärt wird am 04. September entschieden ob dieser Termin stattfindet oder nicht.
29. Prozesstag am 07.08.2025
Wenngleich der Prozess immer mehr dem Ende zugeht, hielt der Senat den 29. Prozesstag äußerst kurz. In etwa 2,5 Stunden wurden lediglich ein paar zusätzliche Videos gesichtet und Akten verlesen. Der Erkenntnisgewinn hielt sich in Grenzen.
Zu Beginn der Sitzung nahm die Verteidigung den eigenen Beweisantrag zurück, da der Senat diesem nicht nachgekommen war. Eine von der Verteidigung vorgeschlagene Sachverständige zum Tag der Ehre war am Vortag bereits gehört worden und einzelne Bilder der vermeintlichen Opfer, die diese im Kontext ihres neonazistischen Aktivismus zeigten, waren im Prozess auf Basis des Antrags eingeführt worden.
In der Folge führte der Senat nochmals einzelne Beweismittel ohne größeren Zusammenhang ein. Gesichtet wurde ein Video, das zwei Beschuldigte beim Bezahlvorgang in einem Lokal wenige Stunden vor einer Tat zeigen soll, ein Video von einem Angriff auf einen Neonazi im Rahmen des Tags der Ehre 2022 (also ein Jahr vor den Angriffen, an denen Hanna beteiligt gewesen sein soll), sowie ein YouTube-Video von der „Wir sind alle Linx“-Demo in Leipzig. Dazu wurden einzelne Karten von Budapest und ein Privatfoto von Hanna gezeigt.
Bei den anschließenden Verlesungen aus verschiedenen Akten ging es insbesondere um die Durchsuchungen und vorübergehenden Festnahmen von E., C., und M. in Budapest. Durch eine Taxirechnung, die bei einem Beschuldigten gefunden worden war, hatte die Budapester Polizei eine Aufenthaltsadresse der Beschuldigten ermittelt und vor Ort in der Umgebung drei Personen festgestellt, die sich nach ihrer Wahrnehmung auffällig verhielten. Bei der Kontrolle wurden bei einer Person u.a. Handschuhe, ein Schlauchi und Pfefferspray beschlagnahmt. Hannas Verteidigung widersprach der Verwertung der in den Protokollen wiedergegebenen Aussagen der Beschuldigten E., C. und M. Des weiteren wurde ein Reservierungsvorgang zum Wohnungsmietvertrag zweier Beschuldigter vorgelesen sowie die Einstellungsverfügungen von Strafverfahren gegen zwei Beschuldigte. Hintergrund ist, dass aufgrund der nun gegen sie erhobenen Vorwürfe diese Strafverfahren nicht mehr wesentlich ins Gewicht fallen. Richter Stoll sorgte hier für einen kurzen Moment der Belustigung im Publikum, als er die Bundesanwaltschaft fragte, wie es denn sein könne, dass die Untergetauchte E. in U-Haft sei. Dass diese sich schon vor mehreren Monaten gestellt hatte, war ihm offenbar entgangen. Verlesen wurde zudem das auf basc.news veröffentlichte Grußwort des noch untergetauchten Beschuldigten an seinen Bruder, der sich ebenfalls gestellt hat.
Zumindest etwas Einblick in die Ermittlungsarbeit der Soko LinX gab die Verlesung einer vom Senat beauftragten Nachermittlung bezüglich eines Thailandaufenthalts mehrerer Beschuldigter. Aus diesem waren im Prozess mehrfach Fotos gezeigt worden, die angeblich beschuldigte Antifas bei einer Kampfsportschule zeigen sollen. Die Cops hatten eine Postkarte an eine Mitbewohnerin sichergestellt, in der von einem Kampfsporttraining die Rede war. Daraufhin hatten sie die Internetauftritte aller Kampfsportschulen in der Umgebung des Urlaubsorts durchsucht, bis sie die Fotos gefunden hatten, die die Beschuldigten zeigen sollen.
Um 12:01 Uhr war der Verhandlungstag schließlich beendet, ohne dass eine neue Erkenntnis in Bezug auf Hanna erzielt worden wäre. Alle Beweismittel wurden ohne jegliche Kommentare oder Kontextualisierung eingeführt. Es ließ sich nicht wirklich erkennen, inwiefern sie Hanna substantiell be- oder entlasten sollen. In Bezug auf das Video der „Wir sind alle Linx“-Demo, an der Hanna laut Verfassungsschutz teilgenommen haben soll, ist anzunehmen, dass der Senat es einführte, um Hanna in den Kontext von militantem Demonstrationsgeschehen zu setzen und so als gefährlich darzustellen und eine Verurteilung auch auf Basis sehr dünner Indizien in Bezug auf die eigentlich vorgeworfenen Taten zu rechtfertigen. Zu sehen war Hanna auf dem Video im Übrigen nicht.