Maja befindet sich seit über einem Jahr im Gefängnis. Dem ging ihre Auslieferung nach Ungarn voran, die laut Urteil des Bundesverfassungsgerichtes rechtswidrig war. Vor mehreren Wochen trat Maja in den Hungerstreik. Eine mehr als ein Jahr andauernde Isolationshaft unter widrigsten Bedingungen zwang sie nach eigenen Angaben zu diesem Schritt. Maja sowie Personen, die den Prozess begleiten, beschreiben die Haftbedingungen als unbillig hart und als Ausdruck des Versuches ungarischer Behörden, ein Exempel an einer non-binären Person zu statuieren, da diese eine Gruppe von Menschen repräsentiert, gegen die sich die ungarische Regierung seit Jahren politisch in Stellung bringt. Die Versuche politisch Verantwortlicher, queeres Leben in Ungarn zu diskriminieren und sogar aktiv zu bekämpfen, fanden jüngst Ausdruck in dem Verbot der Pride Parade in Budapest am 29. Juni 2025.
Hiermit möchten wir uns mit Maja und jenen, die sich seit Monaten für bessere Haftbedingungen und die Rücküberstellung Majas nach Deutschland einsetzen, solidarisch erklären. Unser Mitgefühlt gilt Majas Familie, ihren Eltern und Geschwistern, Freundinnen und Freunden, die in großer Sorge um Maja sind.
Gnade und Barmherzigkeit gegenüber den, biblisch gesprochen, Fremden, Armen, Geringen, Schwachen u.a., das heißt jenen gegenüber, die als gefährdet oder gesellschaftlich benachteiligt gelten, gehören zur Substanz christlicher Ethik. (Ex 22,20f.; Dtn 10,17f.; Ps 82,2-4; Sach 7,10; Mt 25). In der Rede Jesu vom Weltgericht, wie sie das Matthäusevangelium im 25. Kapitel überliefert, werden Zuwendung und Solidarität mit Minderheiten, mit systematisch und strukturell Diskriminierten, allgemein mit leidenden Menschen, auch mit Personen, die durch weltliche Justiz in Haft gesetzt wurden, implizit gefordert.
Bei Letzterem geht es nicht darum, die Justiz als staatliche Gewalt grundsätzlich infrage zu stellen, sondern vielmehr darum, sich dafür einzusetzen, dass Inhaftierte trotz ihrer Situation menschenwürdige Behandlung erfahren. Das geschieht durch Aufrechterhaltung persönlicher Beziehungen, was sich unter anderem in Besuchen aber auch in materieller oder ideeller Unterstützung ausdrücken kann. Es bedeutet aus unserer Sicht aber auch den Einsatz für ein faires Verfahren, für Haftbedingungen, die die physische und seelische Gesundheit der inhaftierten Person nicht, wie im Fall Majas, massiv gefährden und für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung, die die Würde des Menschen grundsätzlich achtet.
Jesus zeichnet eine endzeitliche Gerichtsszene (Mt 25,31ff.). Darin verdeutlicht er, dass das Urteil Gottes am Maßstab der tätigen Nächstenliebe, besonders gegenüber den Schwachen und Benachteiligten, gefällt werden wird. An der barmherzigen Mitmenschlichkeit macht sich das Wesen der Gerechtigkeit fest.
Jesus schildert das Endgericht folgendermaßen: „Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sich setzen auf den Thron seiner Herrlichkeit, und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet […]. Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.“
Indem Jesus diese Gerichtsszene zeichnet, kommuniziert er indirekt, was Nächstenliebe praktisch bedeutet und wie wichtig ihm diese ist. Gemäß Jesu Botschaft ist das Gebot der Nächstenliebe dem der Gottesliebe gleichwertig (Mt 22,37-40) beziehungsweise bedingen beide einander. Jene, die in der endzeitlichen Gerichtsszene vor Gericht stehen, fragen, wer die sind, die den richtenden König, den Sohn des Vaters, der hier als Richter auftritt, versorgt und besucht haben. Der Richtende antwortet: „Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Geschwistern1, das habt ihr mir getan.“ Ferner führt dieser Richter aus, dass, wer nicht in der beschriebenen Weise barmherzig handelt, dass der das strafende Urteil empfangen wird.
Das heißt, dass laut Lesart des Matthäusevangeliums, jenen ewiges Heil zuteilwerden wird, die im Leben praktische Hilfe denen erweisen, die darauf angewiesen sind; Benachteiligte, Unterdrückte, Minderheiten und auch Gefangene. Die barmherzige Hinwendung zu Leidenden, Ausgegrenzten, Unterdrückten, eben den „Geringen“, muss fundamental als Ausdruck christlichen Selbstverständnisses und christlicher Ethik und Lebensweise gelten, stets eingedenk aller Begrenzung menschlichen Wissens, Wollens und Vollbringens.
Queere Menschen leiden in vielen Ländern dieser Welt, auch in Europa, an Benachteiligungen und Diskriminierung. In Ungarn darf man das, verfolgt man diverse Äußerungen und Beschlüsse der dortigen Regierung, in für europäische Verhältnisse, besonderer Weise annehmen. Hat Maja angesichts des bisherigen Prozessverlaufes mit einem fairen, rechtsstaatlichen Verfahren und gegebenenfalls mit einem verhältnismäßigen Gerichtsurteil zu rechnen? Das steht berechtigt in Zweifel. Angesichts der rechtswidrigen Auslieferung Majas, der sehr harten, gewissermaßen eine Verurteilung bereits vorwegnehmenden Haftbedingungen, der zu befürchtenden Diskriminierung und des nur eingeschränkt rechtstaatlichen Prinzipien folgenden Prozesses, schließlich der lebensgefährlichen gesundheitlichen Lage Majas, bitten wir die deutsche Bundesregierung und mithin das Auswärtige Amt und alle im konkreten Fall politisch Verantwortlichen und Entscheidungsträger, die diplomatischen Möglichkeiten auszuschöpfen, um Maja zurück nach Deutschland zu holen und sie einem fairen Verfahren zuzuführen.
Unterzeichnet von
Pfarrer Andreas
Pfarrerin Anne Simon
Superintendent des Kirchenkreises Jena Sebastian Neuß
Leiterin Archiv und Bibliothek der EKM (Standorte Eisenach und Magdeburg) Christina Neuß
Jena, den 06.07.2025
1 Wörtlich „Brüdern“.