Prozessbericht 28. März 2024 – Zweiter Verhandlungstag in Budapest

Bei Ankunft am Gericht wurde direkt deutlich, dass das Interesse am Prozess groß zu sein scheint. Viele Menschen, darunter zahlreiche PressevertreterInnen, warteten auf Zugang. Auch einige Nazis befanden sich unter den Wartenden. So zum Beispiel Laszlo Dudog, der mit Hammerskin Patch und Skrewdriver Beanie seinen Status als unbescholtener Fußgänger erneut zu unterstreichen versuchte. Ebenfalls auffällig das Gebaren von Legio Hungaria Mitbegründer Tamas Liptak. Dieser war hauptsächlich damit beschäftigt, Fotos der vor dem Gericht wartenden Menschen anzufertigen. Dabei galt der Fokus weniger den eigenen Kameraden, um die Erinnerung festzuhalten, viel mehr galt sein Interesse den ItalienerInnen sowie Menschen in deren Umfeld oder die er einfach nicht zuordnen konnte. 

Also, vorbei an den Faschos und ab ins Gericht. Die Sicherheitskontrollen in Budapest sind auf jeden Fall deutlich entspannter, als man das aus so manchem ostdeutschen Gerichtssaal gewöhnt ist. Sind sie registriert? Wie ist ihr Name? Bitte einmal durch den Scanner. Viel Spaß, sie müssen ungefähr da lang. Eine italienisch sprechende Person des Gerichts stand direkt am Eingang, um Kommunikationsprobleme zu vermeiden. Dafür gibts Pluspunkte. 

Da das Interesse am Prozess relativ groß war, wurde der Zugang zum eigentlichen Gerichtssaal limitiert. Zugelassen waren nur enge Verwandte, Prozessbeteiligte und Presse. Vor allem die Presse, die im Gegensatz zu Prozessen in Deutschland die gesamte Zeit im Verhandlungsbereich arbeiten darf, nahm einen großen Teil der Plätze ein. Zuschauen konnte man also nur als registrierte Person via Livestream in einem extra Raum des Gerichts. 

Auch wenn es nur über den Stream zu hören war, wird das Geräusch der schweren Metallketten, in denen Ilaria in den Saal geführt wird, sicherlich einigen im Kopf bleiben. Das Blitzlichtgewitter ist in diesem Moment ausschließlich auf sie gerichtet und hält eine ganze Weile an. Währenddessen wird sie von den schweren Ketten befreit und darf von diesem Moment an mit leichteren Fesseln im Gerichtssaal sein. Die für sie verantwortliche Justizbeamte wird während der gesamten Dauer den Griff fest an der ihr angelegten Leine behalten. 

Anfangs ist alles etwas wuselig, PresservertreterInnen werden mehrfach und in verschiedenen Sprachen auf die Etikette hingewiesen; es wird abgeklärt, ob es Fotos geben darf. Ilaria bejaht dies, ihre Dolmetscherin möchte das nicht. Ein weiterer Hinweis des Richters betrifft die Nazis. Diese wollten rein, haben es aber anscheinend versäumt, sich anzumelden, weswegen sie die Verhandlung nicht verfolgen durften. 

Direkt zu Beginn dann die Nachricht, dass es keine ZeugInnenvernehmungen geben wird. Da die dritte Angeklagte, die sich unter Auflagen in Deutschland aufhalten kann, aufgrund technischer Probleme nicht zuschalten konnte, können die ZeugInnen nicht gehört werden. Der Zeuge Zoltan Toth, der vor einem Budapester Kiosk einst ins Stolpern geriet, ließ über seinen Verteidiger eine Reisekostenerstattung beantragen und wurde dann entlassen. Kleine Besonderheit. Zoltan hatte darum gebeten, in einem externen Raum im Gericht seine Zeugenaussage machen zu dürfen. Dafür wurde eine Videoübertragung eingereicht. Die Klärung seines Anliegens soll nun zum nächsten Prozesstermin am 24. Mai stattfinden. 

Anschließend wird eine weitere Zeugin, aus gleichen Gründen, nach Hause geschickt und angewiesen zum nächsten Termin zu erscheinen. 

Erneut wird die Dolmetscherin Ilarias gebeten, den italienischen PressevertreterInnen die Verhaltensregeln zu erklären. Nachdem dies geschehen ist, werden noch die Vertreter des rechten Portals kuruc.info aus dem Verfahren entfernt. Sie haben mit ihren Veröffentlichungen zum ersten Prozesstag gegen die Regeln verstoßen und dürfen nun nicht mehr der Verhandlung beiwohnen. Dabei ging es um die Verletzung von Bildrechten. 

Dann wendet sich der Richter Ilaria zu. Sie wird gefragt, ob sich an Ihrer Einstellung, nicht aussagen zu wollen, etwas geändert habe. Ilaria bleibt bei ihrer Entscheidung, stimmt aber zu, dass sie zu ihren persönlichen Lebensumständen Aussagen trifft. Es werden die obligatorischen Dinge wie Familienstand, Job, Gesundheitszustand und frühere Strafen abgefragt. 

Die Verteidigung beantragt erneut, dass das Gericht alle Dokumente für ihre Mandantin ins Italienische übersetzt. Das Gericht bleibt dabei, nur die für Ilaria relevanten Dokumente übersetzen zu lassen. Die Entscheidung, was von Relevanz ist und was nicht, liegt beim Gericht. 

Die Verteidigung befragt nun Ilaria zu ihren Lebensumständen und ob die erforderlichen Bedingungen für einen Hausarrest, sowohl in Italien als auch Ungarn, gegeben sind. Es geht darum, ob sie bereit sei, eine Fußfessel zu tragen, was sie bejaht, als auch um die Infrastruktur für einen Hausarrest. Auch bejaht sie, dass sie alle auferlegten Regeln einhalten würde und selbstverständlich weiterhin am Prozess teilnehmen wolle. Ihr ist bewusst, dass eine „Flucht“ nichts bringt, dass sie am Ende wieder in Ungarn landen würde. Sie gibt an, dass sie sowohl in Italien als auch in Ungarn eine Wohnung zur Verfügung hätte und auch aus beiden Ländern aus dem Home-Office arbeiten könnte. Ebenfalls erklärt sie dem Gericht, dass sie seit Beginn ihrer Inhaftierung von ihren Eltern in allen Belangen unterstützt wird, was auch die finanzielle Unterstützung beinhaltet. 

Der Richter geht nun auf den in der Vorverhandlung verurteilten Angeklagten ein. Er erklärt, dass das Gericht sehr daran interessiert ist, bis zum nächsten Verhandlungstag im Mai eine finale Entscheidung bezüglich des Strafmaßes zu finden. Ebenfalls teilt er in diesem Punkt mit, dass das Gericht plant, ihn bestenfalls schon zum nächsten Termin als Zeuge zu laden. Sollte dies nicht klappen, dann aber definitiv zum darauffolgenden Prozesstag, der für September anberaumt ist. Die Gerichte haben eine Art Sommerpause, weswegen es nach dem 24. Mai eben erst im September weitergeht. 

Im Anschluss geht der Richter die einzelnen Stationen der Ermittlungen durch. Er zitiert aus früheren Befragungen, berichtet von Haftprüfungen und Anträgen. Ilaria bestätigt dabei die formalen Umstände, äußert sich aber nicht inhaltlich zum vom Richter vorgetragenen. Auch ihre Unterbringung im Gefängnis spielt partiell eine Rolle. Sie wurde heruntergestuft in ihrer Gefährlichkeit und ist nun unter Medium Security eingeordnet. Über die eigentlichen Haftbedingungen wird allerdings nicht gesprochen. 

Es folgt ein erneuter Antrag der Verteidigung auf Hausarrest für Ilaria in Italien. Sollte dies abgelehnt werden, wird Selbiges in Ungarn gefordert. Dazu eingebracht werden die eingangs durch die Verteidigung an Ilaria gestellten Fragen zu ihrer persönlichen Situation, der Vorbereitung in Form von gesicherter Wohnung und sogar Arbeit, als auch das schon angesprochene Angebot, sie werde eine Fußfessel tragen. Ebenfalls wird angeboten, eine Kaution in Höhe von 16 Millionen Forint zu hinterlegen. Aus Sicht der Verteidigung sind keine Gründe vorhanden, die Haft aufrechtzuerhalten. Ihre Mandantin hat sich durchweg gut verhalten und, wie bereits angesprochen, in Zusammenarbeit mit Familie und UnterstützerInnen die notwendige Infrastruktur geschaffen. Ebenfalls gibt es eine Person, die „bürgen“ und sie bei sich aufnehmen würde. Auch die italienische Botschaft ist bereit, Unterstützung zu leisten. Sie haben seit Beginn Kontakt zur Familie und wollen auch in Zukunft daran nichts ändern. Auch wird die Situation der deutschen Angeklagten eingebracht, die sich unter Auflagen in Deutschland aufhalten darf. 

Wenig überraschend wird dieser Antrag von der Staatsanwaltschaft abgelehnt. Für sie steht außer Frage das die Haft ausgesetzt wird. Als Gründe werden angegeben, dass weiterhin eine hohe Fluchtgefahr gesehen wird. Auch wird die schwere der Verletzung angebracht, die verlangt die Haftsituation beizubehalten. Zuletzt wird die dritte Angeklagte eingebracht, der die Staatsanwaltschaft vorwirft eine wichtige Rolle in der kriminellen Vereinigung zu spielen in der Ilaria nunmal auch Mitglied sei. Woher die Staatsanwaltschaft diese Informationen haben will, scheint nicht wichtig zu sein – zumindest erfährt man darüber nichts. Nach bisherigem Kenntnisstand aber, gibt es keinerlei Belege für eine Mitgliedschaft in irgendeiner Vereinigung. Weder bei Ilaria, noch bei der deutschen Angeklagten. 

Dies greift auch die Verteidigung auf und ermahnt den Richter zur Verhältnismäßigkeit. Weder in Italien noch in Deutschland sei bei einer solchen Faktenlage und unter den vorhandenen Bedingungen die U-Haft so lang aufrechtzuerhalten. Die zu erwartende Strafe wäre ebenfalls geringer angesetzt als in Ungarn. 

Nach einem kurzen Moment zum Bedenken für den Richter geht dann alles ziemlich schnell. Dieser sieht die Anklage entgegen der Verteidigung nicht als übertrieben an. Er erkennt zwar an, dass sich die persönliche Situation gebessert habe, allerdings reicht das für ihn nicht aus. Er begründet dies mit früheren Verfahren gegen die Angeklagte – die alle eingestellt wurden – und spricht in Zusammenhang mit den vorgeworfenen Taten in Budapest von „sehr abscheulichen Verbrechen“. Der Antrag sei somit abgelehnt und die Verteidigung kann Beschwerde dagegen einreichen. Dies passiert umgehend. Der nächste Prozesstermin ist der 24. Mai, dann geht es im September weiter. Es wird versucht, einen anderen Raum für die kommenden Prozesstage zu finden. 

Ilaria wird wieder an schwere Ketten gelegt und aus dem Gerichtssaal geführt. Vorbei an ihren FreundInnen und Familienmitgliedern sowie UnterstützerInnen. Ungewünschte Gäste waren auch vor Ort. Am Ausgang des Saals stand auch Laszlo Dudog um sich die Szenerie anzuschauen. Kurz darauf verließ er mit seiner Partnerin das Gericht. Zum Ende des Prozesses erfuhren wir noch, dass Ilarias UnterstützerInnen bei der Ankunft am Gericht von einer Gruppe Nazis „empfangen“ wurden und von diesen auf Ungarisch beleidigt und bedroht wurden.

Damit dieser Prozessbericht nicht mit dem Erscheinen der Nazis endet, möchten wir allen UnterstützerInnen danken, die sich auf den Weg nach Budapest gemacht haben und versuchen in welcher Form auch immer diesen Prozess zu begleiten. Das Narrativ darf keinesfalls den ungarischen Medien allein überlassen werden, vor allem mit Blick auf die Berichterstattung in der Vergangenheit. Wir werden weiterhin versuchen, den Prozess auch vor Ort zu begleiten. 

FreeAllAntifas 

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